Tradition heißt nicht die Asche aufheben, sondern die Flamme
weiterreichen. (Ricarda Huch)

Verständigung im Konfliktfall
(Joh 4, 1-26)

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, was ihnen von dem heutigen Predigttext in Erinnerung geblieben ist. Ich nehme aber an, es ist in etwa das Folgende:

Jesus kommt nach langer Wanderung an einen Brunnen. Er ist durstig und bittet eine Frau um Wasser. Daraus entwickelt sich ein seltsames Gespräch, bei dem die Frau immer vom Brunnenwasser redet, Jesus aber das Wasser des Lebens meint und das auf sich selbst bezieht. Das versteht sie aber offenbar nicht.

Dann spricht Jesus die augenscheinlich etwas anrüchige Vergangenheit der Frau an: Fünf Männer hast du gehabt und der jetzige ist nicht dein Mann. Daran erkennt sie, dass er ein Prophet ist.

Am Schluss reden sie über den richtigen Ort des Gebets und Jesus sagt, dass die wahren Beter Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. Und das beziehen wir Christen dann gern auf uns, denn wir beten ja Christus an, im Unterschied zu Leuten wie dieser Frau, die das offenbar nicht verstehen.

Liebe Gemeinde, so naheliegend diese Deutung auch scheinen mag: Mit dem Geist und der Wahrheit dieser Geschichte hat diese Deutung nichts zu tun. Zum Ersten, weil sie diese Frau als leichtlebig und begriffsstutzig hinstellt. Zum Zweiten, weil sie den Eindruck erweckt, Jesus benutze diese Frau um dadurch seine Messianität herauszustellen. Und zum Dritten, weil damit behauptet wird, Johannes als Erzähler dieser Geschichte habe genau das sagen wollen.

Gerade beim Evangelisten Johannes verbieten sich solche oberflächlichen Deutungen, weil bei ihm jedes Wort einen tieferen Sinn hat. Dem Geist und der Wahrheit in dieser Geschichte werden wir nur auf die Spur kommen, wenn wir den entdecken. Dazu möchte ich sie mit dieser Predigt einladen. Und der erste Anhaltspunkt dafür ist der Brunnen.

Dieser Brunnen ist keine Idylle, wie manche romantischen Maler es später gern gesehen haben. Er ist vielmehr ein Ort harter Arbeit. Ein einziges Kamel zu tränken, konnte bedeuten, 12 Eimer Wasser heraufziehen zu müssen; ganze Herden zu tränken war ein Knochenjob. Das Wasser in die oft weit entfernten Häuser zu tragen, war auch harte Arbeit – da ist die Frau gerade bei. Und wenn das Wasser mal knapp war, dann gab es am Brunnen auch mal heftige Auseinandersetzungen.

Schon die ersten Sätze der Geschichte signalisieren damit: Wir begegnen Jesus und dieser Frau mitten in ihrem harten Alltag. Und es liegt ein doppelter Konflikt in der Luft. Zum einen gibt es hier einen Geschlechterkonflikt: Jesus als Mann spricht eine fremde Frau an. Darüber hinaus geht es aber um den Konflikt zwischen den Volksgruppen, denn Jesus ist Jude und die Frau Samariterin. Und der erinnert mich ein bisschen an uns als Ost- und Westdeutsche.

Auch Juden und Samaritaner waren ursprünglich ein Volk, unter einem König vereint. Aber dann wurde das Land geteilt und über mehrere hundert Jahre entwickeln sich die Volksgruppen auseinander, sowohl politisch als auch religiös: Die Juden sammeln und erweitern ihre Schriften zu dem, was wir heute das Alte Testament nennen. Und sie haben ihren Tempel in Jerusalem. Die Samariter dagegen halten an den 5 Büchern Moses als einziger Quelle des Glaubens fest und sie haben ihr Heiligtum auf dem Berg Garizim.

Als Jesus und diese Frau zusammentreffen, liegt der Tempel auf dem Garizim bereits lange in Trümmern. Dass er aber – im Gegensatz zu Tempel in Jerusalem – nicht wieder aufgebaut worden ist, das verschärft die Spannungen zwischen Juden und Samaritern.

Dass es Johannes genau um diese Spannungen geht, das zeigt sich in verschiedener Weise. Zunächst dadurch, dass er uns diese Frau ausdrücklich als Samariterin vorstellt. Dann durch den Ort der Handlung, Sychar. Der ist nämlich nur einen Kilometer vom Berg Garizim entfernt. Und Johannes erzählt uns auch, dass dieser Brunnen ein Geschenk Jakobs an seinen Sohn Josef war. Damit geht er ausdrücklich in die Zeit vor der Trennung der Volksgruppen zurück. Und er sagt damit sehr nachdrücklich: Beide Konfliktparteien haben eine gemeinsame Geschichte.

Die Frau weiß genau um diese Geschichte und spricht deshalb ausdrücklich von unserem Vater Jakob. Sie ist also alles andere als begriffsstutzig. Und noch etwas rückt diese Frau in ein besonderes Licht: Da ist zum einen die Zeit: Jesus und die Frau treffen sich um die 6. Stunde am Brunnen. - Um die 6. Stunde kam einst auch Rahel zum Brunnen und begegnete dort Jakob und damit begann sich Gottes Verheißung für Jakob zu erfüllen. Und die Worte Jesu Gib mir zu trinken! die richtete eins der Knecht Abrahams an Rebekka. Und er fand so – ebenfalls an einem Brunnen - die richtige Frau für dessen Sohn Isaak.

Johannes sagt damit: Diese Samaritanerin ist keineswegs eine dumme Person mit einer anrüchigen Vergangenheit. Hier steht vielmehr eine starke, tatkräftige und kluge Frau, so klug und stark wie einst Rebekka und Rahel. Und unter diesem Blickwinkel wollen wir ihrem Gespräch mit Jesus jetzt nochmal folgen.

Dass die Frau als erstes die Bitte Jesu um Wasser abschlägt, schon das zeugt von ihrer Klugheit. Ein Jude durfte sich von einer Samaritanerin nicht das Wasser reichen lassen, es sei denn, er betrachtete sie als Sklavin. Das lehnt diese Frau ab. Auf seine Rede vom lebendigen Wasser reagiert sie zunächst eher spöttisch: Du hast ja nicht mal ein Schöpfgefäß. Aber ganz pragmatisch fügt sie hinzu: So eine Quelle wäre schon toll, dann müsste ich endlich nicht mehr Wasser schleppen. Da weiß sie, wovon sie spricht.

Dass es Jesus bei seiner Rede vom lebendigen Wasser um mehr geht, das ist beim Propheten Jesaja nachzulesen: Alle seine Worte finden sich dort wieder. Und an die Hoffnung auf den Messias, um die es dort geht, knüpft Jesus auch an mit der Aufforderung an die Frau an: Hole deinen Mann.

Jesus geht es hier nämlich nicht um den Ehemann dieser Frau, sondern um den Herrn, der die politischen und religiösen Geschicke des Landes lenkt und damit auch über das Leben dieser Frau regiert.

Die Frau versteht das und sie antwortet bitter: Ich habe keinen Herrn. Und Jesus bestätigt ihr das: Du hast Recht, sagt er, fünf Herren hast du gehabt. Und er meint sehr wahrscheinlich die Könige von Assur, von Babel, von Persien, von Griechenland und am Ende von Juda, die nacheinander über Samarien geherrscht haben. Und auch der jetzige Herrscher ist nicht dein Mann. Und damit meint er den römischen Kaiser.

Verschlüsselt und doch klipp und klar haben sich Jesus und diese Frau verständig: All diese fremden Herren erkennen sie nicht an. Ihrer Herrschaft beugen sie sich nicht. Daran erkennt die Frau, dass Jesus einen Propheten ist. Und nun ist es nur folgerichtig, dass sie nach dem wahren Herrn, also nach Gott, fragt: Unsere Väter – so sagt sie - verneigten sich auf diesem Berg hier. Ihr aber verneigt euch in Jerusalem. Wie ist es denn nun richtig? Und Jesus antwortet als Prophet und damit im Blick auf die Zukunft: Es wird die Zeit kommen, ja, sie ist schon da, wo sich die wahren Beter weder hier noch dort verneigen werden, sondern im Geist und in der Wahrheit.

Die Frau versteht genau die messianische Hoffnung, um die es hier geht und die sie beide verbindet und sie bekennt sich dazu: Ich weiß, dass der Messias kommt. Und Jesus schließt mit den unglaublich tiefgründigen Worten: Ich bin es – der zur dir Redende. Denn dieses Wortspiel heißt zugleich: Gott, der ich-bin-da, ist der zu dir Redende. Das bedeutet: Gott selber redet mit dir, mit einer Frau und einer Samariterin! Und ich habe den Eindruck, in diese Worte hat Jesus seine ganze Hochachtung für diese Frau hineingelegt.

Liebe Gemeinde, nun haben wir eine ganze Weile gebraucht, um den tieferen Sinn dieser Geschichte zu durchschauen. Bleibt die Frage, was das alles für uns heute bedeutet. Und da möchte ich abschließend drei Punkte nennen.

Das Erste ist: Wenn es uns - in welchen Zusammenhängen auch immer - um wirkliches Verstehen geht, dann reicht es offenbar nicht, an der Oberfläche zu bleiben. Wir sollten vielmehr tiefgründig hören. Dieser Weg ist länger und mühsamer. Aber wir sollten ihn versuchen, gerade heute, in einer Zeit der schnellen Klicks und kurzen Spots. Und das gilt nicht nur in Religion und Kirche, sondern genauso in der Gesellschaft und in der Politik. Es gilt auch ganz privat. Und es gilt auch zwischen Männern und Frauen, gerade in einer Zeit, in der manche wieder alte Rollenmuster reaktiveren wollen.

Das Zweite ist: Wenn es uns um wirkliches Verstehen geht, dann hilft es nicht, nur auf das Trennende zu starren. Wichtig ist, auf das Gemeinsamen zu schauen, dass auch Konfliktparteien ja immer haben. Einen Jakobsbrunnen, also eine gemeinsame Quelle, die gibt es für uns alle, für Männer und Frauen, für Ossis und Wessis, für Juden und Palästinenser … Wir sind zum Beispiel gemeinsame Bewohner eines Hauses, eines Landes oder einfach dieser einen Erde. Und es ist gut, wenn wir da anknüpfen.

Das Dritte ist: Wenn es uns um wirkliches Verstehen geht, dann lohnt es, die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft nicht aufzugeben. Gewiss, das macht Konflikte und all das Trennende nicht einfach weg. Aber es schafft einen neuen Horizont. Und auch den brauchen wir nicht nur in und unter den Religionsgemeinschaften, sondern genauso in Gesellschaft und Politik und in unserem persönlichen Leben.

Ich glaube, wenn wir uns so um wirkliches Verstehen bemühen, dann folgen wir damit dem Beispiel Jesu. Wir leben von dem Wasser aus seinem Brunnen und wir beten ihn tatsächlich in seinem Geist und in der Wahrheit an.

Amen

 

Amen

 

19. Januar 2025 - Pastor Olav Metz

 

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