Tradition heißt nicht die Asche aufheben, sondern die Flamme
weiterreichen. (Ricarda Huch)

Lass los!
(Gen 22, 1-14/19 / Mt 4, 1-11)

Liebe Gemeinde,

die Opferung des Isaak ist eine der wohl heftigsten Geschichte der Bibel. Sie ist heftig, weil sie uns vor die Frage stellt, was Gott wirklich will: Will Gott die Menschen, die auf sein Wort hin mit ihm aufbrechen, schützen, ihnen Leben und Zukunft geben? Oder will er sie zerstören, ihnen wirklich die Kinder und die Zukunft nehmen und diese einem blinden menschlichen Gehorsam opfern?

Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, denn sie entscheidet auch darüber, worin die Versuchung in dieser Geschichte besteht. Und ich denke, mit ihr entscheidet sich dann auch, ob Menschen sich diesem Gott anzuvertrauen wagen oder nicht.

Mit diesen Fragen im Kopf schaue ich jetzt auf unseren Text und da fallen mir drei Dinge auf:

Erstens: Diese Geschichte beginnt mit den Worten lech lecha, auf Deutsch Geh vor dich hin. Diese Worte kommen so nur zweimal in der Bibel vor. Einmal an dieser Stelle und ein zweites Mal zehn Kapitel zuvor beim Aufbruch Abrahams in das verheißene Land: Geh vor dich hin aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft, aus dem Haus deines Vaters, in das Land, das ich dich sehen lassen werde. (Gen 12,1) heißt es da.

Lech lecha - diese Worte stehen also am Anfang und (fast) am Ende der Geschichte Abrahams mit Gott. Die Geschichte, die sich zwischen diesen beiden Anreden abspielt, ist aber keineswegs geradlinig und lupenrein. Ja, Abraham ist berührt vom Wort Gottes. Aber er ist zugleich geprägt von der Welt, die ihn umtobt. Einer Welt, in der jeder schauen muss, wo er bleibt, wie er überleben kann, wie er oder sie salopp gesagt, mit dem Hintern an die Wand kommt. Und dass Abraham da auch auf ziemlich schräge Ideen kommt, das können Sie in einer ruhigen Stunde gerne selber mal nachlesen…

Auf diesen verworrenen Wegen und in den Turbulenzen seines Lebens steht Abraham immer wieder vor Unklarheiten und Uneindeutigkeiten. Was ist zu tun? Was ist jetzt richtig und was falsch? Da melden sich die verschiedensten Stimmen zu Wort, um ihn und auch in ihm. Und ich denke, dieses Stimmengewirr kennen wir alle:

Ein Unfall: Helfe ich hin oder schaue ich nur zu? Ein Streit: Greife ich ein oder lasse ich es lieber? Ein böses Wort: Höre ich drüber weg oder reagiere ich?? Rede ich oder halte ich lieber den Mund? Welcher dieser vielen Stimmen soll ich folgen?? Und es kommt manchmal sogar noch schlimmer: Im schlimmsten Fall verschwimmen diese Stimmen, die Stimmen der Welt und meine eigene Stimme, die Stimme Gottes und die Stimmen, die wir für Gottes Stimme halten.

Dass diese Verwirrung sogar die Stimme Gottes betreffen kann, das drückt unser Text durch eine zweite Auffälligkeit aus: Als Gott Abraham nach Morija schickt, da heißt es, dass Elohim ihn anspricht. Elohim aber ist lediglich die allgemeine Bezeichnung für Gott. Dann aber, als Abraham auf dem Berg zum Messer greift, da ist es der Bote JHWHs, der ihm in den Arm fällt. JHWH aber, das ist der Name des einzigen und wahren Gottes Israels. Und diese Stimme aus dem Stimmgewirr herauszuhören und ihr zu folgen, das ist das Gottes Gebot.

Spannend ist, dass Jesus in seiner Versuchungsgeschichte genau das gleiche erlebt: Er hört Worte der Bibel, scheinbar also das Wort Gottes. Und doch sind es die Worte des Teufels. Und die entscheidende Frage bei Abraham und bei Jesus ist deshalb, ob es ihnen gelingt, diese Stimmen zu unterscheiden.

Die Stimmen richtig unterscheiden, das ist deshalb die Versuchung, für Abraham und für Jesus und genauso für uns. Und die erste Konsequenz, die ich für uns heute aus dieser Geschichte ziehe, lautet deshalb: Wir müssen aus dem Stimmengewirr in uns und um uns die wahre Stimme Gottes heraushören lernen. Und das gilt auch für die Worte, die Gott in den Mund gelegt oder in seinem Namen gesprochen werden!

Die Stimmen unterscheiden müssen, das ist die Versuchung: Jesus besteht diese souverän, Abraham nur mit Mühe. Aber auch er ahnt offenbar, dass bei der Aufforderung, Isaak zu opfern, etwas nicht stimmt. Und auch davon erzählt die Geschichte. Abraham sagt nämlich, als er nach einer gewissen Wegstrecke seine Knechte zurücklässt: Ich und der Knabe, wir werden zurückkehren. (V 5). Er selber sagt damit: Der Ruf JHWHs kann nicht in den Tod führen! Das kann nicht das Ende sein! Wir kommen zurück, auch wenn im Moment noch absolut nichts darauf hindeutet.

In diesen Worten steckt nun aber zugleich der Schlüssel, der Schlüssel der Unterscheidung, der damals galt und bis heute gilt. Und der lautet schlicht: Der biblische Gott JHWH will niemals, NIE, dass wir ihm Menschen opfern. Wer das glaubt, der hat die Versuchung nicht bestanden! JHWH will vielmehr, dass wir einander frei geben, nicht mit unseren Vorstellungen von Glauben, vom Leben, von der Zukunft… andere fesseln. Nicht daran sollen wir sie und uns binden, sondern einzig an JHWH, den Gott, der die Bindungen löst und dadurch neuen Lebensraum schafft, den Gott, der befreit.

Gott befreit aus tödlichen Bindungen. Daran ist die wahre Stimme JHWHs zu erkennen! Deshalb heißt unsere Geschichte in der hebräischen Bibel auch nicht die Opferung des Isaak, sondern die Bindung Isaaks. Diese Bindung wird in dieser Geschichte mit Gottes Hilfe gelöst. Und noch ein interessantes Detail weist darauf hin, dass es um diese Lösung Isaaks geht: Abraham und Isaak kehren nämlich nicht gemeinsam vom Berg zurück. Abraham kommt allein; Isaak geht von Stund an seiner eigenen Wege.

Diese Lösung eröffnet Isaak die eigene Zukunft. Und der zweite Schluss, den ich für uns aus dieser Geschichte ziehen möchte, lautet deshalb: Wir werden Gottes Wort nur folgen, wenn wir die Bindungen lösen, mit denen wir uns, unsere Welt, einander und unsere Kinder binden und nach unserer Fasson selig machen wollen. Die Lösung zur Freiheit ist Gottes Auftrag, damals wie heute.

Das aber hat nun tatsächlich etwas mit dem Opfer zu tun. Denn wir, besonders wir Älteren, müssen dafür tatsächlich etwas opfern: Wir müssen unsere Vorstellungen, unsere Pläne, unsere Konzepte aufgeben, müssen sie opfern zu Gunsten einer offenen Zukunft. Und damit bin ich am Ende jetzt nochmal bei den Worten lech lecha – geh vor dich hin vom Anfang. Auch diese Worte gelten nämlich uns allen. Am Anfang bedeuten sie, dass wir uns – wie Abraham - aus Bindungen lösen müssen, um unseren eigenen Weg gehen zu können. Geh – ich gebe dir Zukunft. Dafür steht Abraham mit seinem Aufbruch aus dem Vaterhaus (Genesis 12).

Am Ende in Genesis 22 bedeutet das lech lecha aber auch: Geh – gib mir deine Zukunft. Gib deine Vorstellungen auf! Lass los, die du an dich gebunden hast! Opfere sie mir, indem du sie freigibst. Abraham tut dies, indem er Isaak aus den Bindungen löst. Jesus tut dies, indem er dem biblischen Gott JHWH allein die Hoheit gibt, dem Gott, der befreit. Und meine dritte und letzte Konsequenz für uns heute lautet deshalb: nichts anderes sollen wir auch tun - freigeben und loslassen.

Will Gott die Menschen, die auf sein Wort hin mit ihm aufbrechen, schützen, ihnen Leben und Zukunft geben? Oder will er sie zerstören, ihnen wirklich die Kinder und die Zukunft nehmen und diese einem blinden menschlichen Gehorsam opfern?

Meine Antwort lautet: Gott will das Leben und er will jedem von uns die dafür nötige Freiheit geben. Jedes Wort, das dem entgegensteht, ist vom Teufel. Das gilt in der großen Politik genauso und gerade angesichts der fürchterlichen Kriege in der Welt. Das gilt auch in unserer Kirche. Es gilt aber genauso in unserem kleinen Alltag, und -sie Abraham - sogar in unseren Familien.

Unsere Aufgabe ist es, Verstrickungen zu lösen und loszulassen, wo immer es nötig ist. Mag sein, dass wir dabei eigene Vorstellungen und Pläne aufgeben, sie opfern müssen. Aber gerade bei Jesus lerne ich: ohne dieses Opfer ist ein Leben, wie Gott es will, nicht zu haben.

Wenn uns dieses Opfer gelingt, ich glaube, dann folgen wir der wahren Stimme JHWHs, unseres Gottes. Und dann bestehen vielleicht auch wir die Versuchung, so wie Abraham und wie Jesus damals.

Amen

 

 

10. März 2024 - Pastor Olav Metz

 

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