Tradition heißt nicht die Asche aufheben, sondern die Flamme
weiterreichen. (Ricarda Huch)

Generation Abram
(Genesis  15, 1-6 / Psalm 127)

Liebe Gemeinde,

wovon hängt unsere Zukunft ab? Wenn wir den heutigen Predigttext aus dem 1. Buch Mose ernst nehmen und wenn wir die Worte des 127. Psalms ernst nehmen, die wir eingangs zusammen gesprochen haben, dann lautet die Antwort schlicht: Unsere Zukunft hängt von unseren Kindern ab. Sie sind das große Geschenk Gottes, sind - so der Psalm - wie Pfeile in der Hand des Kämpfenden. Deshalb verspricht Gott Abram genau dies: Kinder. Du sollst ein großes Volk werden! (1. Mose 12, 7), so sagt er. Und damit – so könnte man meinen – ist alles in Ordnung.

Ist es aber nicht, denn Abram hat Zweifel. Die Jahre sind ins Land gegangen und er hat vieles bekommt. Nur Kinder haben er und seine Frau Sarai nicht. Das macht ihm Sorgen; Er hat schlaflose Nächte. Und selbst seltsame Bemühungen wie die ‚Leihmutterschaft‘ bei seiner Magd Hagar – wir kennen die Geschichte durch die Jahreslosung – ändern daran nichts.

Als Gott ihm in einer dieser schlaflosen Nächte erscheint, spricht er seine Sorgen aus: Ich werde kinderlos sterben und mein Verwalter wird alles erben. Gott aber widerspricht. Er stellt Abram unter die Weite des Nachthimmels und lässt ihn die Sterne schauen. Mit einem Augenzwinkern empfiehlt er ihm, die Sterne bitte mal zu zählen. Und er verheißt: So viele Nachkommen wirst du haben.

Wir finden diese Geschichte in der Bibel, weil Abram Gott glaubt und es am Ende tatsächlich so kommt. Nur: was bedeutet das jetzt für mich/für uns heute?

Ich fange mal so an: Abram erlebt diese ganze Geschichte als Vision. Das heißt, was hier geschieht ist, sieht er und er sieht aus seiner Perspektive. Ich werde deshalb versuchen, in die Perspektive Abrams zu gehen, die Perspektive des älter werdenden Mannes der keine Kinder hat und sich deshalb Sorgen macht. Und diese Perspektive ist für mich wohl auch ganz passend, denn ich habe zwar Kinder, aber der Blickwinkel des älter werdenden Mannes ist mir nicht völlig fremd, Generation Abram halt…

Aus dieser Perspektive fällt mir als erstes ein großer Unterscheid zwischen Abram damals und uns heute ins Auge: Abram damals wusste: Die Kinder sichern meine Zukunft. Aber worüber reden wir, wenn es um Zukunftssicherung geht? Wir reden über Wachstum und Energiesicherheit, wir reden über Geld und Besitzstandswahrung, wir reden über Gesundheit und Teilhabe im Alter.

So richtig und wichtig das alles auch ist: Wenn man genau hinhört, dann reden wir damit aber nicht über unsere Kinder und ihre Zukunft, sondern primär über uns und unsere Zukunft. Wirklich um unsere Kinder geht es erst, wenn wir uns an die Themen, die für sie entscheidend sein werden: Den Klimaschutz zum Beispiel, die Vermüllung der Welt oder den Ressourcenverbrauch. Aber soweit kommen wir leider oft gar nicht.

Und schlimmer noch: Anders als bei Abram damals sind Kinder in unserer Gesellschaft heute eher ein Armutsrisiko als eine Zukunftssicherung. Kinder muss man sich ‚leisten können‘. Und viele Zeitgenossen erwarten deshalb die Sicherheit für ihr Leben nicht mehr von ihren Kindern, sondern vom Staat. Von ihm hängt heute für viele die persönliche Zukunft ab.

Wir wissen, das ist eine ganze Weile relativ gut gegangen. Aber wenn der Staat das nicht mehr schafft – und das erleben wir gerade -, dann bröckelt das Vertrauen. Die Stimmung kippt und es haben die Aufwind, die versprechen, das alles wieder so schön wird, wie früher, so schön für uns.

Bei Abram lerne ich: Das ist keine Zukunftssicherung. Zukunftssicherung geht anders. Der Weg in die Zukunft ist immer ein neuer Weg. Es ist der Weg unserer Kinder. Und der muss anders sein, als die Wege, die wir gegangen sind, sonst werden wir alle keine Zukunft haben. Mag sein, dass uns dieser Weg zuweilen nicht gefällt. Ich kenne manche, die zum Beispiel mit ‚fridays for future‘ und deren Protesten wie am letzten Freitag ihre Schwierigkeiten haben. Aus der Perspektive Abrams ist aber klar zu sagen: Die Zukunft ist nicht gefährdet, wenn wir Kinder haben, die ihren eigenen Weg gehen. Gefährdet ist sie, wenn wir keine haben, oder wenn wir sie zwingen wollen, unseren Weg weiter zu gehen.

Der Dichter Khalil Gibran hat diesen Gedanken in einem wunderschönen kleinen Text auf den Punkt gebracht. Und den wird uns jetzt unsere Praktikantin vorlesen.

Eure Kinder sind nicht eure Kinder

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch, und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.

Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.

Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.

Das ist das Bild des 127. Psalms: Die Kinder sind unsere Pfeile in die Zukunft, die wir ziehen lassen müssen. Und nur, wenn wir sie ziehen lassen, sie ihre Flugbahn finden lassen nur dann können sie und wir Zukunft haben. Das aber heißt für mich als Generation Abram: Bei mir muss sich etwas ändern. Ich muss mich verändern und loslassen: mein Kinder, meine Sicherheiten, vielleicht sogar meinen Wohlstand und meine Vorstellungen von der Zukunft.

Das ist die Aufgabe der Generation Abram. Und auch davon erzählt die Geschichte von Abram und Sarai, und zwar auf sehr tiefsinnige Weise. Auch bei den Beiden ändert sich nämlich etwas Wesentliches. Es ändern sich ihre Namen. Aus Abram wird Abraham und aus Sarai wird Sarah. (Gen 17). Und erst nach dieser ihrer Wandlung wird ihr Sohn Isaak geboren und es öffnet sich die Zukunft.

Namen sind im biblischen Verständnis weit mehr als nur eine beliebige Benennung. Sie sind ‚sprechend‘, denn sie stehen für Menschen und für ihre Haltung. Sie sind Zeichen - nomen est omen.

Ob auch wir unsere Namen ändern müssten, das weiß ich nicht. Sicher aber weiß ich, dass eine Namensänderung wenigsten genauso schwer ist wie die Änderung der eigenen Haltung. Die aber braucht es in der Generation Abram auch heute unbedingt. Und für mich ziehe ich deshalb am Schluss dieser Predigt drei Konsequenzen:

Die erste lautet: Ich will mir zukünftig immer wieder ganz klar bewusst machen, dass nicht Geld und Gut und Absicherung meine Zukunft sind, sondern meine Kinder. Dies gilt familiär. Es gilt aber auch für uns als Gesellschaft. Und es gilt in unserer Kirche. Und ich will mein Tun und Lassen so gestalten, das dies spürbar wird, in meinen Alltag und in meinem Glauben.

Die zweite Konsequenz lautet: Ich will mich bemühen, der nächsten Generation nicht meine Vorstellungen aufzudrücken, sondern ihnen die Freiheit lassen, eigene Wege zu gehen. Sicher, auch sie werden Fehler machen und auch sie werden nicht alles besser machen. Aber vielleicht machen sie es etwas besser als unsere Generation und das wäre für unsere Zukunft unendlich viel wert.

Die dritte Konsequenz ist: Ich will mich mit tapferem Herzen auf die Zusage Gottes verlassen, dass es diese Zukunft wirklich gibt. Dass vieles dagegenspricht, das weiß ich und das macht mir und vielen anderen Menschen große Sorgen. Aber als Christ will ich dem – wie Abram - mein Gottvertrauen entgegensetzen, auch gegen den Augenschein. Ich erwarte damit nicht, dass alles gut ausgeht oder wir unbeschadet aus allem herauskommen werden. Ich hoffe nur, dass wir trotz allem bei Gott aufgehoben sind und bleiben, egal, was auch passiert. Und dass ich deshalb niemals tiefer fallen kann, als bis in seine Hand.

So war es damals bei Abram. - Ich hoffe, dass wir alle - wie Abram - Freunde Gottes sind, denen er dieses Vertrauen zu Gerechtigkeit anrechnet. Und ich hoffe, dass er uns dann trotz aller Sorgen im Sinne des 127. Psalms mit der Ruhe des Schlafes beschenkt, jede Nacht neu. Denn ich glaube, am Ende hängt unsere Zukunft auch von dieser ‚Ruhegabe Gottes‘ ab.

Amen

 

17. September 2023 - Pastor Olav Metz

 

Wenn Sie auf die Predigt reagieren möchten, schreiben Sie einfach eine Email an moenchgut@pek.de. - Ich freue mich über Rückmeldungen.