Tradition heißt nicht die Asche aufheben, sondern die Flamme
weiterreichen. (Ricarda Huch)
Alles umsonst?!
(Jesaja 55, 1-5)
Kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen!
Kommt und kauft ohne Geld! Kauft Getreide ohne Bezahlung!
Liebe Gemeinde,
der erste Gedanke, der mir bei solchen Worten durch den Kopf geht, lautete immer: Vorsicht! Wenn etwas umsonst ist, dann hat die Sache bestimmt einen Haken. Denn umsonst ist bekanntlich nichts auf dieser Welt.
Ich neige deshalb dazu, in solchen Fällen gleich ins Kleingedruckte zu schauen. Und ich denke, das ist auch nichts Verwerfliches: Vorsichtig und skeptisch zu sein bei verlockenden Angeboten, das ist einfach nötig, wenn man nicht über den Tisch gezogen werden will. Und das gilt nicht etwa nur im Blick auf Sachen, die wir kriegen können. Es gilt auch im Blick auf den Glauben. Auch hier sind wir heutzutage Teil eines Marktes, auf dem sich nicht nur wohlmeinende Zeitgenossen tummeln.
Vorsicht und Skepsis sind also durchaus etwas Positives und heute überlebenswichtig. Allerdings: Sie haben auch ihre Grenze. Und wo diese verläuft, davon erzählt die folgende kleine Geschichte von Kadidja Wedekind:
Ein moderner Mensch verirrt sich in der Wüste. Die unbarmherzige Sonnenglut dörrt ihn aus; er ist müde und erschöpft. Da sieht er in einiger Entfernung eine Oase, die ihn retten könnte. Da er aber ein moderner, gut informierter und skeptischer Mensch ist, denkt er: Hier gibt es keine Oase; das ist eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung, die in Wirklichkeit gar nicht da ist.
Trotzdem wankt er weiter. Immer deutlicher sieht er die Dattelpalmen, das Gras und vor allem die Quelle. Aber er denkt: Das sind Hungerfantasien, die mir mein erschöpftes Gehirn vorgaukelt. Am Ende hört er sogar Wasser sprudeln und Palmen rauschen: Eine Gehörhalluzination, denkt er, wie grausam die Natur doch ist.
Völlig frustriert und entkräftet lässt er sich in den Wüstensand fallen und - stirbt. Kurze Zeit später finden ihn zwei Beduinen. „Kannst du das verstehen?“, fragt einer der Beiden. „Direkt neben der Quelle ist er verdurstet; die Datteln wachsen ihm fast in den Mund. Wie ist das möglich?“ Der andere antwortet: „Er war halt ein moderner Mensch!“
Vorsicht und Skepsis sind wunderbare Tugenden, denn sie sorgen dafür, dass ich nicht auf jeden Schwindel reinfalle. Wenn sie aber dazu führen, dass ich nichts und niemandem mehr traue (am Ende vielleicht sogar meinen eigenen Augen und Ohren nicht), dann werden sie zum Fluch. Weil wir alle trotzdem Quellen brauchen, denen wir vertrauen. Und wenn die fehlen, verhungern und verdursten wir, so wie die kleine Geschichte es beschreibt.
Nun können wir daran, dass wir moderne Menschen sind, natürlich nichts ändern. Wer sind Kinder unserer Zeit und bleiben es auch. Es ist auch nicht möglich, wieder ‚vormodern‘ zu werden, weil wir die Zweifel nicht einfach wegmachen können und auch nicht sollen. Eins aber ist möglich: Wir können ‚postmodern‘ werden. Das heißt, Skepsis und Zweifel dürfen sein. Aber wir bleiben dabei nicht stehen.
Und das ist nun die Stelle, wo wir aus den Bildern heraustreten und über das reden müssen, was sachlich gemeint ist. Denn natürlich geht es in der kleinen Wüstengeschichten nicht um Dattel und Wasser im wortwörtlichen Sinne, genauso wenig, wie es bei Jesaja um Getreide und Wein und Milch geht. Es geht vielmehr um Nahrung für die Seele. - Was brauchen wir, damit unsere Seele satt wird? Oder um es mit einem alten Wort zu sagen: Was brauchen wir für unser Seelenheil?
Jesaja antwortet auf diese Frage: Die Nahrung für die Seele ist das Wort Gottes. Genauer noch: Die Nahrung für die Seele ist ein Schwur Gottes. Und der lautet: Ich bin und bleibe bei Dir. Egal, wer Du bist. Egal, wo Du bist. Egal, wie es Dir gerade geht. Das schwört Gott. Und in diesem Sinn hat er uns sein Wort gegeben.
Wer sich darauf verlässt, der wird – so Jesaja - leben. Er wird satt werden. Er wird die guten Tage genießen können. Und in schweren Zeiten wird er die Kraft haben, sie durchzustehen. Das ist – so Jesaja – die Quelle des Lebens. Und deshalb ruft er: Kommt alle zum Wasser! Kauft was wirklich sättig! Kauft Nahrung für die Seele!
Und hier möchte ich jetzt noch einmal heraustreten. Heraustreten aus den großen Worten des Jesaja hinein in den Alltagshorizont unseres Lebens und unserer Welt. Und in diesem Horizont möchte kurz von zwei Erfahrungen aus der letzten Woche erzählen, die mir gezeigt haben, wie diese Nahrung der Seele heute aussehen kann.
Die erste Erfahrung steckt, in diesem Zeitungsartikel hier. Den fand ich in der Kirchenzeitung und der erzählt von 30 Russen – vor allem wohl Priester – die zu Beginn dieses Jahres ein Glaubensbekenntnis veröffentlicht haben.
In den acht Punkten dieses Glaubensbekenntnisses widersprechen sie direkt ihrem Patriarchen Kirill, der Wladimir Putin bedingungslos unterstützt und seine Präsidentschaft im Ostergottesdienst sogar als „göttliche Vorsehung“ bezeichnet hat. Dagegen sagen sie:
- Wer den Namen Gottes so instrumentalisiert, der missbraucht ihn.
2. Die Kirche darf keine ideologische Abteilung des Staatapparates sein.
3. Menschen – auch Soldaten – sind kein ‚Verbrauchsmaterial‘.
4. Nationaler Messianismus und nationale Selbstverherrlichung sind Sünde, weil alle Völker vor Gott gleich sind.
5. Der martialische Kampf für traditionelle Werte verschleiert nur, dass es der Kirche selber an Liebe und Freiheit und Mitgefühl und Barmherzigkeit fehlt.
6. Einen Krieg als heilig zu erklären, so, wie es das russische Volkskonzil getan hat, ist mit der Botschaft Jesu unvereinbar.
7. Die zentralistische kirchliche Autokratie unter Kirill führe zu einer Entstellung des christlichen Lebens.
und 8. Wer – wie Kirill - vorschreibt, dass für den Sieg Russlands gebetet werden muss und wer die bestraft, die in der Liturgie das Wort „Sieg“ durch das Wort „Frieden“ ersetzen, der verachtet die Versöhnungsbotschaft Jesu und verfolgt stattdessen diejenigen, die Treu zum Wort Christi stehen
Diejenigen, die dies geschrieben haben, wissen wohl: Diese Kritik ist lebensgefährlich. Warum tun sie es trotzdem? – Ich glaube, weil sie sich nicht über Putins Tisch ziehen lassen wollen und um die wahre Nahrung der Seele wissen. Und weil sie wohl wissen: Wer aus dieser Nahrung lebt, der kann vielleicht körperlich zerstört werden, die Seele aber wird unversehrt bleiben. Sie erfährt das Seelenheil, das Gott uns verspricht, in diesem Moment und in alle Ewigkeit.
Soviel zu diesem Glaubensbekenntnis, das mich tief beeindruckt hat und mich in verschiedener Hinsicht an den Widerstand gegen Hitler erinnert. Die zweite Erfahrung, von der ich erzählen möchte, das ist meine Geschichte mit Reinhard. 30 Jahre war er Bürgermeister in Sellin. 10 Jahre war er Amtsvorsteher. Er hat viel bewegt, hat dem Gemeinwohl gedient, hat vielen geholfen. Genau vor einer Woche ist er gestorben. Am Donnerstag haben wir von ihm Abschied genommen. Und heute hätte er seinen 67 Geburtstag gefeiert.
Ich erzähle heute nochmal von ihm, weil er mich berührt hat, berührt, durch die Art und Weise, wie er gegangen. Er hat offen über sein Ende gesprochen. Er hat alles geregelt. Er hat bis zuletzt den Humor nicht verloren. Und er hat die getröstet, die weinend an seinem Bett saßen.
Warum konnte er das? - Als ich ihn vor vier Wochen im Krankenaus besucht habe, da hat er erzählt: Gestern war die Psychologin hier. Die hat mich gefragt, ob ich denn schon mal, über den Tod nachgedacht hätte und ob ich Angst davor habe. Ich hab‘ der gesagt: Ich bin gottgläubig. Ich glaube, dass wir uns alle wiedersehen. Ich geh nur voraus, die anderen kommen alle nach. Und sie hat gesagt: Dann bleibt mir bei Ihnen wohl nichts mehr zu tun.
Die Nahrung für die Seele ist der Eid Gottes. Ich bin und bleibe bei Dir. Egal, wer Du bist. Egal, wo Du bist. Egal, wie es Dir gerade geht. Reinhard hat diesem Versprechen voll vertraut. Das war es, was seine Seele stark gemacht hat. Und so ist er gegangen in einer Weise, dass ich mir um sein Seelenheil wahrlich keine Sorgen mache.
Eines zeigt sein Weg aber auch sehr schön: Er zeigt, dass Jesaja mit seinem „umsonst“ den Mund doch ein wenig zu voll genommen hat. Denn natürlich gibt Gott sein Versprechen Ich bin da ganz umsonst. Aber eines müssen trotzdem selber tun: Wir müssen darauf vertrauen!
Das ist schwer, gerade wegen all unserer modernen Vorsicht und Skepsis und all der schweren Erfahrungen im Leben. Aber ich denke, gerade an diesen Stellen sollten wir mutig ‚postmodern‘ werden. Weil wir alle Nahrung für die Seele brauchen. Und weil wir nur mit ihr erfüllt leben und getrost werden sterben können. Denn das ist es, was Gott für unser Leben will.
Amen
29. Juni 2025 - Pastor Olav Metz
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