Tradition heißt nicht die Asche aufheben, sondern die Flamme
weiterreichen. (Ricarda Huch)

Ohne Zweifel?!
Zum Orgelfest in Göhren
(2.Kor 13, 11-13 / Joh 3, 1-8)

Liebe Gemeinde,

Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht unbedingt merkt: Es gibt ein verborgenes Band, das unseren Predigttext aus dem zweiten Korintherbrief mit dem Evangelium des heutigen Trinitatissonntags verbindet. Und dieses Band ist – der Zweifel.

Beim Evangelium ist der recht deutlich herauszuhören. Da ist es Nikodemus, der so seine Zweifel hat, wie ein schon geborener Mensch noch einmal neu geboren werden kann. Zurück in den Mutterleib kann doch keiner!

Zum 2. Korintherbrief muss man wissen: Den hat Paulus damals geschrieben, weil er große Zweifel hatte, ob die Gemeinde in Korinth, die er ja selber gegründet hatte, überhaupt noch auf dem richtigen Weg ist. Da gab es nämlich Spannungen und Konflikte. Es gab Ausgrenzungen und Spaltungen. Im 2. Korintherbrief macht Paulus diesen Zweifeln Luft, und wenn man das weiß, dann klingen die Schlussworte des Briefes, die heute der Predigttext sind, doch nochmal ganz anders.

Also: Zweifel hier und Zweifel da. Und wir? – Nun, auf den ersten Blick scheinen Zweifel so gar nicht zu unserem Festgottesdienst zu passen. Denn die neue Orgel, die heute ja im Mittelpunkt steht, ist ohne Zweifel weit besser, als die elektronische Orgel, die wir bisher hatten. Das ist erstmal einfach ein großer Grund zur Freude! Und wir dürfen uns auch von Herzen darüber freuen, dass die Kosten von insgesamt 45.355,56 € zu 100% durch Spenden und Fördermitteln beglichen worden sind! Und das ist einfach toll!

Aber bei aller Freude über den gelungenen Abschluss der Arbeiten und den musikalischen ‚Zugewinn‘ sollten wir auch nicht vergessen: Diese Orgel wurde erst vor 34 Jahre in Annaburg bei Wittenberg aufgestellt. Wir konnten sie nur deshalb erwerben, weil sich die Situation dort binnen weniger Jahre dramatisch gewandelt hat. Die Kirche wurde entwidmet, die Gemeinde gibt es dort so jetzt nicht mehr. Und Annaburg und Göhren liegen nicht unendlich weit auseinander…

Auch wir werden weniger und auch wir sind ganz gewiss nicht am Ende der kirchengemeindlichen Veränderungsprozesse angekommen. Die Touristenströme gleichen hier bei uns manches aus, aber eben nicht alles. Ich kann deshalb gut verstehen, dass manche angesichts dieser Anschaffung auch so ihre Zweifel hatten und haben: Ist diese Investition wirklich sachgerecht und ist sie zeitgemäß? Und diese Zweifel werden bleiben, auch wenn das Projekt jetzt erstmal sehr erfolgreich abgeschlossen ist.

Aber damit komme ich nun wieder zu unseren Bibeltexten zurück, denn denen entnehme ich eine bemerkenswerte Botschaft. Sie lautet: Zweifel zu haben, ist kein Makel. Und es ist auch kein Makel, sie ins Gespräch zu bringen. Im Gegenteil. Zweifel sind grundsätzlich positiv. Warum das so ist, das hat Susanne Niemeyer in diesem kleinen Büchlein Was machen Tagträumer nachts? in wunderbarer Weise beschrieben. Und das klingt so:

Ich mag den Zweifel, weil er eine zweite Sichtweise bietet. ... Wenn ich zweifle, ist mein Denken, Fühlen, Handeln noch nicht festgefahren... Dann hat die Neugier eine Chance zu fragen, welche Möglichkeiten es noch geben könnte. Ich mag den Zweifel, weil er mich daran erinnert, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Dass es sich lohnt, zweimal oder dreimal hinzusehen.

Ich mag den Zweifel, weil mir seine Furchtlosigkeit imponiert. Die Gelenkigkeit seines Denkens, seine Aufrichtigkeit, seine Unerschrockenheit, wenn es darum geht, zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich liebe seine Unabhängigkeit. Glaub nicht alles, was du siehst, sagt er. Und… Sieh über das Offensichtliche hinaus.

Der Zweifel lässt mich wachsen. Nie sieht er überheblich auf mich hinab. Schau mir in die Augen, fordert er … unerbittlich. … Es gibt nichts, vor dem er meint, mich schützen zu müssen. Er mutet mir seine Fragen zu. Schau, sagt er, es könnte auch ganz anders sein. Denk zur Probe mal das Gegenteil. ... Es könnte dir helfen, die Welt … besser zu verstehen. Es könnte dir auch helfen, dich selbst besser zu verstehen. …

Ich mag den Zweifel, weil er mich infrage stellt… Auch, wenn das manchmal anstrengend ist, gibt er mir die Chance, mich zu verändern. Ich bin nicht dazu verdammt, immer dieselbe zu bleiben, mit den immer selben Gedanken, Überzeugungen und den sonderbaren …Hosen, die ich in den Achtzigern trug.

Susanne Niemeyer in: Was machen Tagträumer nachts? Herder Freiburg 2019, S. 111f

Zweifel sind positiv. Sie sind gut, weil sie mir helfen, mich für Veränderungen und neue Wege zu öffen. Genau dahin will Paulus mit seinen Korinthern und sagt ihnen deshalb am Ende seines Briefes – wir haben es gehört: Verändert euch! Lasst euch erneuern!

Und genau darum geht es auch Jesus, der Nikodemus erklärt, warum eine Neugeburt aus dem Geist nötig und möglich ist. Weil wir auch als Christen nicht dieselben bleiben können, die wir gestern waren. Die Sicherheit, die der Glauben gibt, ist nämlich nicht Sicherheit vor Veränderung, sondern Sicherheit in Veränderungen. Und so zu glauben, das ist die Neugeburt aus dem Geist, um die es Jesus geht.

Deshalb: Glaub nicht alles, was du oberflächlich siehst. Schau genauer hin, auch wenn das, was du siehst, dich vielleicht verunsichert. Denk mal anders herum. Erst wenn du es wagst, dich durch den Zweifel so in Frage zu stellen und verunsichern zu lassen, erst dann verlässt du den Grund der falschen Sicherheiten. Und dann kannst du neu geboren werden. Weil aus dem Zweifel nicht zwingen Ratlosigkeit und Resignation folgen müssen sondern ein neues Vertrauen wachsen kann.

Nicht das Vertrauen, das irgendwie schon alles gut wird. Wohl aber das Vertrauen auf Gottes Begleitung, egal, wohin der Weg auch führt. In diesem Sinne sagt Paulus seinen Korinthern und uns: Vertraue seiner Gnade, die er uns in aller Begrenztheit unserer Möglichkeiten und trotz aller unser Fehler gewährt. Vertraue der Liebe, die er in den Mittelpunkt unseres Lebens stellt. Und vertraue der Gemeinschaft, in die er uns stellt, trotz aller Unterschiede und Fragen und Zweifel. Und da denke ich heute besonders an all jene, die dieses Projekt möglich gemacht haben, trotz kleiner werdender Gemeinden und knapper Kassen.

Dieses Vertrauen, das ist die Neugeburt in seinem Geist. In diesem Geist können wir – wie Nikodemus damals – dann auch die Zeichen erkennen, die er heute unter uns tut. Und in diesem Geist kann auch diese Orgel ein Zeichen sein:

Ein Zeichen für das Gottvertrauen, das uns tragen kann.

Ein Zeichen für die Kraft der Musik, die trägt, manchmal mehr als alle Worte.

Und ein Zeichen dafür, dass das Leben ein Spiel ist, ein Spiel zwischen Zweifel und Vertrauen. Also: Spielen wir unser Leben wie man ein Instrument spielt, damit wir über all dem Ernst des Lebens die Leichtigkeit und die Lebensfreude nicht verlieren. In diesem Geist soll das erste Wort, das wir von Paulus gehört haben jetzt auch das letzte dieser Predigt sein. Denn der sagt ganz einfach: Freut euch!

Amen

 

 

Trinitatis - 15. Juni 2025 - Pastor Olav Metz

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